Wird der neue Bundestag Sterbehilfe verbieten?
Was bisher geschah:
06.11.2015 Der Deutsche Bundestag beschließt mit großer Mehrheit § 217 Abs. 1 StGB: Wer organisierte Sterbehilfe anbietet, riskiert drei Jahre Gefängnis.
26.02.2020 Das Bundesverfassungsgericht erklärt § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig.
06.07.2023 Dem Bundestag liegen zwei Verbots-Entwürfe vor. Beide scheitern in der Abstimmung.
- Der SPD-Abgeordnete Castellucci reaktiviert – ohne Änderung eines einzigen Kommas – § 217 Abs. 1 StGB. Für diesen offensichtlich verfassungswidrigen Gesetzentwurf stimmen 302 Abgeordnete. Aber zur Mehrheit fehlen 31 Stimmen.
- Der Gegenentwurf von Künast (GRÜNE) und Helling-Plahr (FDP) ist ebenfalls verfassungswidrig, aber nicht so plump: Zum Autonomieschutz soll eine bundesweite Bürokratie installiert werden, die derart monströs ist, dass sie bei potentiellen Sterbehelfern genauso viel Angst auslöst wie drei Jahre Gefängnis. Für diesen Entwurf stimmen 286 Abgeordnete.
Ausgangslage in der 21. Wahlperiode:
Der neue Bundestag hat 630 Sitze. Nehmen alle Abgeordneten an einer Abstimmung teil, sind 316 Ja-Stimmen für einen Gesetzesbeschluss nötig.
Lars Castellucci und seine Mitantragstellen Ansgar Heveling (CDU) und Stephan Pilsinger (CSU) sitzen im neuen Bundestag – und außerdem weitere 174 Abgeordnete, die am 06.07.2023 für den Castellucci-Entwurf gestimmt hatten, z.B. Ralf Stegner, Hubertus Heil, Lars Klingbeil, Anton Hofreiter, Claudia Roth, Annalena Baerbock, Alexander Gauland, Alexander Dobrindt, Carsten Linnemann und Friedrich Merz.
Renate Künast und Katrin Helling-Plahr gehören dem neuen Bundestag nicht mehr an, wohl aber 110 ihrer Unterstützer vom 06.07.2023, z.B. Lisa Paus, Franziska Brantner, Robert Habeck, Dietmar Bartsch, Gregor Gysi, Heidi Reichinnek, Matthias Miersch, Bärbel Bas und Saskia Esken.
Noch am 06.07.2023, wenige Stunden nach seiner Niederlage im Bundestag, hatte Castellucci neue Gespräche mit Abgeordneten angekündigt, um in einem zweiten Anlauf eine parlamentarische Mehrheit für seinen Entwurf zu bekommen. Nun ist der neue Bundestag für Castellucci ein Glücksfall: 177 Ja-Stimmen hat er schon als „sichere Bank“. Hinzu kommen die heimatlosen Künast– und Helling-Plahr-Unterstützer. Aber bis zur Mehrheit von 316 Stimmen bleibt eine Lücke, die Castellucci entweder durch emsige Gespräche mit neuen Abgeordneten schließen kann. Oder er vertraut auf die zweitstärkste Fraktion im neuen Bundestag, die
AfD:
Der verfassungswidrige patriarchalisch-antiindividualistische Castellucci-Entwurf passt gut zur verfassungsfeindlichen völkisch-antiindividualistischen AfD-Ideologie. Umso erstaunlicher, dass 63 AfD-Abgeordnete am 06.07.2023 mit Nein gestimmt hatten. Der Grund für dieses Abstimmungsverhalten hat mit Politik nichts zu tun:
Bei einer „Orientierungsdebatte“ am 21.04.2021 hatte sich Castellucci als Protagonist eines neuen Verbots-Entwurfs präsentiert und die „Kollegen von fünf Fraktionen“ herzlich zur Mitwirkung eingeladen. Im Bundestag gab es aber sechs Fraktionen. Das heißt, die AfD-Abgeordneten waren von der Mitwirkung ausgeschlossen und fühlten sich wie Schmuddelkinder, die nicht mitspielen dürfen.
Aber jetzt ist das Schmuddel-Image kein Grund mehr, beleidigt zu sein. Gerade dieses Image verhilft der AfD in Ostdeutschland zu Wahlergebnissen, von denen die Altparteien nur noch träumen können. Die 152 AfD-Bundestagsabgeordneten brauchen nicht mehr auf Einladungen zu warten. Sie können selbst entscheiden, mit wem sie spielen wollen und nach welchen Regeln. Alice Weidel wird sich einen Spaß daraus machen, einem verfassungswidrigen CDU-CSU-SPD-Gesetzentwurf zur Mehrheit zu verhelfen.
Unsere Prognose für die 21.Wahlperiode:
Castellucci wird seinen Entwurf erneut einbringen. Andere Abgeordnete werden Gegenentwürfe einbringen.
Das Erstarken der CDU/CSU-Bundestagsfraktion lässt erwarten, dass der Castellucci-Entwurf diesmal eine Mehrheit bekommt.
Dem sehen wir gelassen entgegen. In einer Schublade unseres Deutschlandbüros liegt eine fix und fertig formulierte Verfassungsbeschwerde.
Für Rückfragen: Geschäftsführer Jakub Jaros, jaros@sterbehilfe.de, Tel. 0041 78 203 2456