Einladung zum Kolloquium
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. lädt herzlich zu Gastvortrag ein
von Prof. Dr. Bernd Hecker an der Eberhard Karls Universität Tübingen:
Was bleibt vom Grundrecht auf Sterbehilfe?
Zeit: Dienstag, den 06.09.2022, 18:00 bis 19:30 Uhr
Ort: KFN e.V., Lützerodestraße 9, 30161 Hannover (digitale Teilnahme)
Teilnahmevoraussetzungen: Für Ihre Teilnahme ist eine Anmeldung bis zum 02. September an KrimKoll@kfn.de erforderlich. Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Teilnahmebescheinigung wird auf Wunsch ausgestellt. Sofern Sie eine Teilnahmebescheinigung benötigen, teilen Sie dies bitte bei Ihrer Anmeldung mit. Die Veranstaltung erfolgt digital per Videokonferenz. Eine Zusendung des Zugangslinks erfolgt rechtzeitig vor der Veranstaltung, regelhaft am vorhergehenden Tag.
Das Kriminologische Kolloquium des KFN wird in mehreren Bundesländern, u.a. in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, im jeweiligen justizministeriellen Geschäftsbereich Strafgerichte und Staatsanwaltschaften als anerkannte Fortbildungsveranstaltung geführt. Darüber hinaus wird die Teilnahme an der Veranstaltung als Fortbildungsleistung von verschiedenen Anwaltskammern und als föderale Weiterbildung zur Fachpsychologin bzw. zum Fachpsychologen für Rechtspsychologie anerkannt.
Gegenstand des Vortrags:
Was bleibt vom Grundrecht auf Suizidhilfe? – Straf- und verfassungsrechtliche Bewertung des Gesetzentwurfes BT-Drs. 20/904 (Castellucci / Mützenich)
In seinem epochalen Urteil vom 26.02.2020 hat das BVerfG das Recht auf selbstbestimmtes Sterben unter den Schutz der Grundrechte gestellt. Das Recht des zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Menschen, sein Leben durch Selbsttötung zu beenden, umfasst auch die Freiheit, hierfür die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Während die große Mehrheit der Bürger diese Freiheitsgewährleistung als rechtsstaatliche Errungenschaft begrüßt, wird sie von Teilen der Politik als Bedrohung wahrgenommen. Es wird die Gefahr einer gesellschaftlichen Normalisierung der Selbsttötung beschworen, der mit strafrechtlichen Mitteln entgegenzuwirken sei. Oder es wird behauptet, eine Regulierung der Sterbehilfe sei notwendig, weil suizidwillige Menschen ansonsten in die Arme undurchsichtiger Organisationen getrieben würden. Richtig ist zwar, dass aus der Nichtigerklärung des § 217 StGB nicht folgt, dass sich der Gesetzgeber einer Regulierung der Suizidhilfe vollständig zu enthalten hat. Entgegen einer weit verbreiteten Behauptung hat das BVerfG jedoch eine solche nicht gefordert. Weder besteht aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Notwendigkeit für die Abkehr von der generellen Straflosigkeit der Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid noch sind systemische Missstände in der Sterbehilfepraxis bekannt, die den Gesetzgeber auf den Plan rufen müssten. Am 24.06.2022 beriet der Deutsche Bundestag in Erster Lesung drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe zur Regulierung der Sterbehilfe:
• BT-Drs. 20/904 [Castellucci / Mützenich] 111 Unterzeichner
• BT-Drs. 20/2293 [Künast] 48 Unterzeichner
• BT-Drs. 20/2332 [Helling-Plahr] 69 Unterzeichner
Über diese Gesetzentwürfe soll noch in diesem Jahr abschließend beraten und entschieden werden. Es steht zu erwarten, dass der von zahlreichen prominenten Politikern unterstützte Gesetzentwurf BT- Drs. 20/904 [Castellucci / Mützenich] eine parlamentarische Mehrheit finden wird. Dieser sieht ein strafrechtliches Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung durch Wiedereinführung des § 217 Abs. 1 StGB vor, der wortgleich der vom BVerfG für nichtig erklärten Vorläuferbestimmung entspricht. In einem neuen § 217 Abs. 2 StGB wird die geschäftsmäßige Suizidhilfe jedoch als „nicht rechtswidrig“ eingestuft, wenn die suizidwillige Person zuvor ein anspruchsvolles Procedere „kumulativ und iterativ“ durchlaufen hat. Das prozedurale Schutzkonzept sieht vor, dass sich eine suizidwillige Person mindestens zwei Mal im Abstand von mindestens drei Monaten fachpsychiatrisch untersuchen lässt und mindestens an einem „individuell angepassten, umfassenden und ergebnisoffenen“ Beratungsgespräch auf der Grundlage eines „multiprofessionellen und interdisziplinären Ansatzes“ teilnehmen muss. Nach der letzten fachpsychiatrischen Untersuchung muss die suizidwillige Person bis zur Umsetzung ihres Vorhabens noch eine Mindestwartezeit von zwei Wochen einhalten. Wird der Suizid nicht innerhalb einer Verfallsfrist von zwei Monaten seit der letzten fachpsychiatrischen Untersuchung begangen, entfällt die Straffreistellung. Flankiert werden soll § 217 StGB von einem neuen § 217a StGB, der – nach dem Modell des inzwischen vom Gesetzgeber aufgehobenen § 219a StGB – die „Werbung für die Förderung der Selbsttötung“ mit Strafe bedroht.
Der Vortrag geht der Frage nach, ob die in §§ 217, 217a StGB-E vorgesehenen Straftatbestände im Lichte des BVerfG-Urt. v. 26.02.2020 vor dem Grundgesetz Bestand haben. Sie sollen daher einer strafrechtsdogmatischen Analyse und verfassungsrechtlichen Bewertung unterzogen werden.